Wie ich mir – so auch dir

Von | 27. Mai 2015

WIE ICH MIR, SO AUCH DIR?!
22. Sonntag nach Trinitatis

Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloss, von seinen Dienern Rechenschaft zu verlangen. Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war. Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen.

Da fiel der Diener vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen. Der Herr hatte Mitleid mit dem Diener, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld. Als nun der Diener hinausging, traf er einen anderen Diener seines Herrn, der ihm hundert Denare schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und rief: Bezahl, was du mir schuldig bist! Da fiel der andere vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen.  Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe.

Als die übrigen Diener das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war. Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Diener! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich so angefleht hast. Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte? Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe. Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt.

Matthäus-Evangelium 18, 23-35


Es geht um zehntausend ‚Talente‘! Um eine ganze Existenz geht es. Das Leben in seiner Ganzheit steht zur Disposition. Die inständige Bitte ‚Hab Geduld mit mir!‘, das große Mitleid und das ‚Geschenk der Liebe‘  sind die Rettung aus dieser akuten Bedrohung.

Unmittelbar nach dieser Befreiung trifft dieser eben Beschenkte ‚auf einen anderen Diener‘, der ihm hundert Denare – einen Bruchteil an Lebens-Qualität! – schuldet. Und diesen würgt er und lässt ihn ins Gefängnis werfen.

Eine empörende Geschichte und die Empörung ruft den eben Großzügigen in das Geschehen. Sein Zorn annulliert das ‚Geschenk der Liebe’ ‚bis er die ganze Schuld bezahlt habe‘.

voelkner

 

‚Die größten Kriege werden in Beziehungen ausgetragen‘, habe ich einmal gelesen. Diese Erzählung ist so etwas wie ein Beziehungskrieg. Diesen ‚Krieg‘ stellt Jesus in den großen Zusammenhang von innerer und äußerer Lebens-Gestaltung.

Es geht um das Leben im Gleichgewicht. Das Schuldig-Werden ist Lebens-Realität.  Die eigene Ausweglosigkeit aus den Verstrickungen und der Verlust der Lebensfreude drängen zur ‚Abrechnung‘  und die Sehnsucht ‚schreit’ nach Befreiung.

In diesen Prozess von notvoller Selbsterkenntnis tritt das ‚Mitleid’. Die ‚Abrechnungs‘-Instanz mit ‚Wiedergutmachungs-Forderung‘ hat auch diese Seite! Die ‚Vergebung’ schafft das Gleichgewicht und das Leben ist wieder lebenswert!

Dieses ‚inneren Ausgleichs‘ bedürfen wir immer wieder neu. Er vollzieht sich in Stille und Gebet, ist Ringen um innere Zufriedenheit, ist ein sehr bewusster Prozess. Es ist Begegnung mit ‚Gott’, nicht ohne Dramatik, wie uns das Bild dieser Erzählung vermittelt.

‚Als nun der Diener hinausging ….‘ Hier liegt für mich die Schaltstelle in der Erzählung. Mit dem Hinausgehen verlässt er die Ebene des ‚intrapersonalen Dialogs‘ und betritt die Ebene des ‚interpersonalen Dialogs‘, die Ebene seines sozialen Lebensraumes.

Wie eigentlich ging er hinaus? Was bedeutet ihm die errungene innere Zufriedenheit wirklich? Welches Bewusstsein von Lebens-Qualität ist in ihm? Wie frei ist er, sein Leben aus erlebter ‚Selbsterfahrung’ zu gestalten? Die Begegnung mit seiner Lebens-Realität lassen jedenfalls frühere Haltung und Handlungsmechanismen, die auch sein inneres Gefüge aus dem Gleichgewicht brachten, mit unverminderter Macht wieder hervorbrechen. Der ‚Krieg‘ setzt sich fort.

Was hat da gefehlt? – Dankbarkeit!

Dankbarkeit hat auch mit ‚Denken‘ zu tun. Dankbarkeit ‚bedenkt’ die Lebens-Realität und stellt sie in das Licht der Erfahrung mit Gott. Wer dankbar ist, kann nicht gleichzeitig gewalttätig sein!

Dankbarkeit über das Geschenk des Lebens stellt alle Lebens-Realitäten in dieses Licht. Die Unerträglichkeiten des Lebens fänden hier ihre Erlösung. Das ist so schlicht und einfach wie auch schwer, aber möglich!

Die Abbildung ist einer Karten-Sammlung von Barbara Völkner entnommen.   www.lebenskarten.de


 

Impulse

  • Wie gehe ich mit Versagen und Schuld um? 
  • Kann ich in Stille und Gebet den Weg zu ‚innerer Zufriedenheit‘ sehen? 
  • Kenne ich das Wechselspiel zwischen innerer Ausgeglichenheit und Konfliktverhalten?  
  • Welche Stellenwert hat Dankbarkeit in meinem Leben?

VIERHUNDERTNEUNZIGMAL LEBENSNOTWENDIGES
2. Impuls
22. Sonntag nach Trinitatis

Entschuldige Bitte – bitte, ent-schulde mich! Wenn ein Mensch ent-schuldet ist, ihm vergeben wurde, ist Leben ‚gerettet‘! So ist Vergebung ein ‚Befreiungsakt‘.

Der von Schuld Beladene ist befreit und der Vergebende ist ebenfalls befreit aus dem Gefängnis der Opfer-Rolle.

Als Befreite lebt es sich anders, lebt es sich neu!

Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern‚, beten wir. Diese Bitte meint eben diese lebensnot-wendige Befreiung aus Einengung und Bitterkeit. Unter den sieben Bitten im ‚Vater-Unser‘ ist sie die einzige, die das Miteinander betrifft. Das unterstreicht die Bedeutung des Umgangs mit Schuld und Vergebung.

Schuld-Beladene und Vergebende sind mehr miteinander verbunden als sie meinen. Die erlebte schwere Verletzung ist häufig aus Enge geschehen. Sie ist ‚unerlaubte‘ Entlastung auf Kosten eines anderen Menschen. Der nun trägt diese Last und sucht auf seine Weise nach ‚Entlastung‘: So landen alle Gedanken und Gefühle beim ‚Täter‘.

Ein unheilvolles Bedingungsgefüge, das nur durch Erkenntnis der Schuld die Bitte um ‚Ent-Schuldung‘ einerseits und das Aufgeben der Schuld-Zuweisung andererseits aufgelöst werden kann.

Jesus selbst öffnet den Blick für solchen Zusammenhang: ‚Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders und bemerkst nicht den Balken in deinem Auge!‚ (Matthäus-Evangelium 7,3). Das ist der Impuls zum heilenden Dialog, natürlich mit allen ‚Achter-Bahn-Gefühlen‘!

Vergebung

Heilender Prozess um des Lebens willen

 

Die Wichtigkeit dieser Beziehungsklärung hebt das Gleichnis ins Bewusstsein. ‚Nicht siebenmal, sondern siebenmalsiebzigmal‘ anwortet Jesus auf die Frage, wie oft wir uns in einen solchen Prozess begeben sollen.

‚Vierhundertneunzigmal‘ beschreibt eine Lebens-Haltung! Das Bewusstsein von Anfälligkeit zum Schuldigwerden einerseits und die Erkenntnis der Lebensnotwendigkeit von Vergebung andererseits sind sich wiederholende und heilende Prozesse.


Impulse

  • Neige ich dazu, die ‚Schuld‘ immer bei anderen zu suchen?

  • Wie gelingt es mir, mich mit meiner eigenen ‚Schattenseite‘ zu befreunden und sie nicht einfach ‚abzureagieren‘?

  • ‚An die Gnade glauben, heißt im tiefsten Sinne: Aufgeben, sich selbst zu rechtfertigen, aufhören, auf seiner eigenen Ganzheit zu bestehen, sich ‚richten‘ lassen zu können‘.  (Fulbert Steffensky)


 

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