Droge Waffen

Von | 7. April 2022

DIE SUCHT NACH WAFFEN

Manchmal kommt es mir in der gegenwärtigen Diskussion wie eine Erleichterung vor, endlich ohne Umschweife die Notwendigkeit von Waffeneinsatz zu vertreten. Die Begründungen sind immer die gleichen: Diesem Aggressor ist nicht anders zu begegnen. Die jüngst aufgedeckten Massaker in einem Vorort von Kiew und an anderen Stellen beflügeln diese Begründung einmal mehr.

Gleichzeitig gibt es – immer etwas zaghaft, aber doch mehr als ahnend vorgebracht – den Hinweis, dass solche Eskalation an Entsetzlichkeiten  ja auch darauf hinweisen würde, wie sich die ‚Gewalt-Spirale‘ in die Höhe entwickeln würde.

Der wackere ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij ruft in der gegenwärtig in keiner Weise zu unterschätzenden Bedrängnis ebenfalls nach Waffen. Gleichzeitig spricht er unmissverständlich und klar die ‚Wahrheit‚ aus: ‚Ich bin da und alle politischen Führer sind auch da.  Das Militär ist da, die Bürger sind da und wir verteidigen unsere Unabhängigkeit, unser Land und das wird auch so bleiben‚. Und einen Tag später:  ‚Guten Morgen, Ukrainer. Ich bin hier, wir werden unseren Staat verteidigen, denn unsere Waffe ist die Wahrheit. Unsere Wahrheit ist, dass dies unser Land ist, unser Land unsere Kinder und wir werden all dies schützen. Das ist es, was ich sagen wollte‚.

Ich war mehr als 20 Jahre in der Suchtkrankentherapie tätig und entdecke hier auffällige Parallelen.  Die Begründungen, die Menschen bringen, wenn sie von ihrer gewachsenen Abhängigkeit sprechen, sind immer – im Bilde gesprochen – ‚kriegerische‘ Auseinandersetzungen. Da wird beschuldigt, verdächtigt, angegriffen und nicht selten hörte ich diese Begründung: ‚Ich habe das (Sucht)Mittel gebraucht, um mich endlich wehren zu können gegen Verleumdung, Verletzung, Missachtung.‘  Eine Abstinenzforderung wird in solcher Situation nur als Niederlage empfunden. Auch die heimlichen Gewinner aus der ‚Drogen-Beschaffungs-Lobby‘ (Übertragen: Waffen-Schmiede-Lobby) gehören hier auch eher zum Widerstand gegen eine als notwendig gesehene unabdingbar veränderte Haltung.

Während  therapeutischer Bemühungen ging es immer darum, die Willenskraft zu stärken, die ‚Waffe‘ Droge einsichtig trotz aller Widerstände  aus der Hand zu geben,  die eigenen ‚Waffen‘ in Wort und Entscheidung einzusetzen und dieser Kompetenz unbedingt zu trauen.

Dem wachsenden Keim des Widerstandes aus den Verhärtungen trauen

Am Ende hatte sich in vielen ‚Fällen‘ tatsächlich eine neue Sprach- und Auseinandersetzungs-Kompetenz ohne Einsatz weiterer Drogen entwickelt.  Sowohl bei den unmittelbar als auch bei den mittelbar ‚Betroffenen‘ ergab sich eine größere Bereitschaft der Begegnung in AugenhöheIn sich bildenden ‚Selbsthilfegruppen‘ wurden Verbündete für eine wehrhafte Abstinenz gefunden!

Das alles ist in die aktuelle Kriegssituation gut übertragbar. Die Kraft der Worte ist ungebrochen und sie bleibt stärker als jede Waffe! Das ist in der gegenwärtigen  Krise vielleicht nicht so unmittelbar ablesbar. Erleichterung aber wird spürbar,  wenn eine Sprache zu hören ist, die auf die Gestaltungskräfte in und von Menschen abzielt. Ständig lauterer Ruf nach mehr Waffen entlarvt  Hilflosigkeit einerseits und ein hohes Maß an
Abhängigkeitsbereitschaft  andererseits.

Zugegeben ist die Gemengelage nicht einfach. Dennoch schafft sie in ihrer Vielgestaltigkeit und Undurchsichtigkeit Raum für überraschende  Vorstellungen.

In meinem ‚Fiktiven Brief an Wladimir Putin‘ (vor dem kriegerischen Überfall) habe ich am Schluss eine Vision mitgeteilt, die ich hier wiederhole:  Ich wünsche mir, dass einige schon bestehende Bemühungen zwischen unserem Land und anderen europäischen Staaten  in einen großen freundschaftlichen Vertrag von Verlässlichkeit und Vertrauen münden. Ich erweitere das visionäre Bild hier: Aus allen Staaten, besonders den räumlich nahen europäischen bildet sich eine Delegation. Sie besteht aus in ihrer Haltung verlässlichen Beauftragten, die den ‚Therapeutischen Weg‘ zu gehen bereit und in der Lage sind, Möglichkeiten der Entspannung und  Entfaltung von Gemeinsamkeit zu schaffen. 

Für eine solche Maßnahme wird es allerdings nicht ein einseitiges ‚Schuld-Bekenntnis‘ als  erste Bedingung einer solchen ‚Runde in Gemeinschaft‘ geben können. Das mit ausgestrecktem Zeigefinger auf andere benannte ‚Schuldhafte‘ birgt die Erkenntnis, dass die sich gleichzeitig auf sich selbst gerichteten drei Finger ebenfalls als ‚Wahrheit‘ verstanden wird.

Ich habe den langen Verhandlungstisch im Kreml vor Augen, der aber auch an jedem anderen Ort stehen könnte, an dem sich die Gut-Willigen versammeln. An einem ‚Tisch in Freiheit und mit Weitblick‘ und in ‚Augenhöhe‘!

Jedem Delegierten an diesem Tisch würde dieser franziskanische Segen  zur Verfügung stehen:

Möge Gott dich mit Unbehagen segnen bei einfachen Antworten, Halbwahrheiten, und oberflächlichen Beziehungen,
damit du tief im Herzen lebendig wirst

Möge Gott dich mit Zorn segnen
über Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen,
damit du dich für Gerechtigkeit , Freiheit und Frieden einsetzen kannst.

Möge Gott dich mit Tränen segnen, die zu vergießen für diejenigen,
die Schmerz, Ablehnung, Hunger und Krieg erleiden,
damit du deine Hand ausstrecken und trösten kannst,
um Schmerz in Freude zu verwandeln.

Und möge Gott dich mit genügend Torheit segnen zu glauben,
dass du einen Unterschied in der Welt machen kannst,
damit du tun kannst, was andere für unmöglich halten,
um Gerechtigkeit und Güte
für alle unsere Kinder und die Armen zu bringen.


Ich habe heute das PUBKLIK-FORUM EXTRA Themenheft FRIEDEN erhalten. Ich empfehle dringend die Lektüre unterschiedlicher Beiträge, die meine Sicht berühren.(http://www.publik-forum.de/extra)


KONTAKT
FIKTIVER BRIEF AN WLADIMIR PUTIN


ZU THEMEN