Texte aus den Traditionen

Von | 20. November 2013

 

Texte aus christlicher, jüdischer, muslimischer Tradition

  InterRelReligiöse Koexistenz in Bethlehem

Wir haben gesehen, dass ‚interreligiöser‘ Dialog eine Herausforderung für uns ist. Zum einen verlangt er von uns eine gemeinsame Aktivität, die schon unter Menschen mit demselben Hintergrund schwierig genug ist. Zum anderen verlangt er von uns, dass wir unsere Perspektive ändern, wenn auch nur für einen Moment, und die Dinge so wie andere sehen, einfach um ihre Position zu verstehen. Das zu tun und dabei die eigene Position zu behalten ist nicht immer leicht.

Weiter verlangt interreligiöser Dialog von uns zu akzeptieren, dass die Strahlen von Gottes Licht auf alle Völker und Nationen scheinen. Die Wahrheit ist unendlich weiter und tiefer als mein Verstand. Vielleicht sollten wir nicht mehr behaupten, dass wir die Wahrheit kennen, sondern dass wir in der Wahrheit bleiben. Angesichts unseres begierigen Verstandes, der immer nach Besitz und Kontrolle strebt, ist das keine leichte Sache.

……. Geheimnisvollerweise stärken diese Lichtstrahlen unsere Schau der Wahrheit. Während sie uns vom logischen Gebilde unseres Glaubens wegbringen, scheinen sie ihm dennoch nie zu schaden. Ein Muslim, der es lernt, Bach zu schätzen, ist deshalb kein geringerer Muslim; ein Christ, der Freude an islamischer Kalligraphie findet, ist daher kein geringerer Christ. Beide können sogar in ihrem jeweiligen Glauben gestärkt werden. Und man kann sich fast sicher sein, dass keiner von ihnen zu religiösem Extremismus verleitet wird.
Aus ‚Hefte aus Taizé“, Frère Johannes – Austausch mit Glaubenden anderer Religionen


Schön und köstlich ist’s, Gott zu danken!
Dir zu lobsingen, du Höchster,
des Morgens deine Gnade
und des Nachts deine Wahrheit verkünden
auf dem Psalter von zehn Saiten,
mit Spielen auf der Harfe.

Denn du machst mich fröhlich durch dein Walten,
und ich rühme die Taten deiner Hände.
Wie ist dein Wirken so groß,
wie sind deine Gedanken so tief!

Der Redliche grünt wie ein Palmbaum,
er wächst wie eine Zeder des Libanon.
Die eingepflanzt sind im Hause des Herrn,
grünen in den Vorhöfen am Tempel des Herrn.

Noch im Alter tragen sie Frucht,
bleiben saftig und frisch.
Sie zeigen die Verlässlichkeit des Herrn.

Denn er ist mein Fels,
und wer sich auf ihn stellt, hat festen Grund.

Psalm 92 – Für den Sabbat-Tag

 


Es ist Tag geworden
für uns und alle Schöpfung.

Sie ist Gott eigen,
das Lied, das sie singt, klingt aus Gott.

Wir aber rufen die Hoheit Gottes an.

Gott ist groß.
Sein schaffendes Wort gilt, es gilt sein Befehl.

Der Tag ist Gottes Tag,
die Nacht ist Gottes Nacht.
Was in beiden lebt, ist Gott eigen.

Gott, der du barmherzig bist,
fülle den Anfang dieses Tages mit Heil,
schaffe unserem Tun die Frucht,
gib seinem Ende den Segen.

Morgengebet – Mohammed, 570-632

 


Was soll ich tun, o Moslems?
Ich kenne mich selbst nicht.
Ich bin nicht Christ, nicht Jude, nicht Parse, nicht Moslem.

Ich bin nicht vom Osten, nicht vom Westen,
nicht vom Land, nicht von der See.

Ich bin nicht aus der Werkstatt der Natur,
nicht aus dem kreisenden Himmel.

Ich bin nicht von Erde, nicht von Wasser,
nicht von Licht, nicht von Feuer.

Ich bin nicht von dieser Welt, nicht von der anderen,
nicht aus dem Paradies, nicht aus der Hölle.

Mein Ort ist das Ortlose, meine Spur das Spurlose,
ich habe weder Leib noch Seele,
denn ich gehöre der Seele dessen,
den ich liebe.

Ich habe alle Zweiheit abgetan.
Ich habe geschaut, dass die zwei Welten eine sind. 

Einen suche ich. Einen kenne ich.
Einen schaue ich, einen rufe ich.
Er ist der Erste. Er ist der Letzte.
Er ist der Äußerste. Er ist der Innerste.
Ich weiß nichts anderes als: »O! Er, der ist!« 

Ich bin vom Becher der Liebe berauscht.
Die Welten sind aus meinem Blick geschwunden. 

O Gott der Götter und Herr der Herren!
Gib mir meine Seele zurück,
damit deine Diener nicht der Verführung verfallen
durch mich. 

O du, der du ich bist, du, der ich bin,
es ist kein Unterschied zwischen mir und dir
außer meiner Zeitlichkeit und deiner Ewigkeit.

Mansur al-Halladsch, islamischer Mystiker, 857-922


Meine Nachbarin ist Muslimin. Über den Gartenzaun hinweg haben wir uns viel zu erzählen. Plötzlich unterbricht sie das Gespräch und sagt: „Ich muss jetzt beten“. Ich entgegne: „Beten Sie für mich mit“. Sie antwortet: „Ich bete für die ganze Welt“.

Gusti Hoth
Aus ‚Der andere Advent‘ – 2011/12

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Erfahrungen seien stets an kulturelle und an religiöse Traditionen gebunden, dazu gehöre auch die Botschaft des Evangeliums. Eine gemeinsame Basis müsse heute aber immer wieder neu definiert werden, schreibt Hans Joas, katholischer Religionssoziologe:

„Wenn die Gewißheiten derer verschwunden sind, die Religion für überflüssig und schädlich halten,
aber auch die Gewissheit der Gläubigen, dass außerhalb des Glaubens nur Verfall sein könne,
dann ist vielleicht eine günstige Stunde für eine neue Betrachtungsweise.“

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 Literatur-Hinweis
Jörg Zink
‚Unter dem großen Bogen‘
Das Lied von Gott rings um die Erde
Kreuz-Verlag


Am Ende seiner Rede in der Paulskirche (2015) ruft der Träger des ‚Friedenspreises des Deutschen Buchhandels‘, der Muslim  Navid Kermani, Orientalist und Schriftsteller in der Frankfurter Paulskirche zum Gebet auf: ‚Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum Gebet aufrufen. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie um etwas Ungewöhnliches bitten – obwohl es so ungewöhnlich in einer Kirche dann auch wieder nicht ist. Ich möchte Sie bitten, zum Schluss meiner Rede nicht zu applaudieren, sondern für Pater Paolo und die zweihundert entführten Christen von Qaryatein zu beten ….  Und wenn Sie nicht religiös sind, dann seien Sie doch mit Ihren Wünschen bei den Entführten … Was sind denn Gebete anderes als Wünsche, die an Gott gerichtet sind? Ich glaube an Wünsche und dass sie mit oder ohne Gott in unserer Welt wirken. … Gern können Sie sich dafür auch erheben, damit wir den Snuffvideos der Terroristen ein Bild unserer Brüderlichkeit entgegenhalten.‘


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