Schmerz-System?

Von | 10. September 2013

Aber ich muss trotzdem sagen, diese Sache mit Gott ist echt noch offen. Würde mich sehr interessieren, warum Gott solche Radikalmaßnahmen von den Menschen fordert. Es passiert so viel Leid, dass ich mit Gott wirklich meine allergrößten Probleme habe und ihn oder Jesus bitten muss, mir das mal zu erklären. Vor allem warum man dieses Leiden überhaupt zur Währung erklären soll?

Schmerz

Das ist doch eine Beschmerzung, die da stattfindet. Gott ist ein Schmerzsystem. Gott hat nichts mit Freude zu tun. Wenn sich jemand freut – ja gut, das soll dann auch Gott sein. Aber wenn jemand leidet, heißt es gleich: Da hat sich also Gott für ihn eine Prüfung ausgedacht. Oder: Aha, der hat wohl Schuld auf sich geladen und muss sich mehr mit Gott auseinandersetzen.

Das ist doch bescheuert. Das ist doch ein Riesenfehler dieser Religionen – nicht nur im Christentum, sondern auch im Islam -, dass die permanent diese Drohungen aussprechen: Achtung, Achtung, wehe, du machst einen Fehler! Wehe, du handelst falsch! Das ist doch alles furchtbar. Das müsste man doch ganz anders formulieren. Jedem Menschen ist doch auch ohne Gott und seine Gebote und seine Verbote klar, dass er keinen anderen töten oder verletzen soll. …

Das Gottesprinzip ist im Laufe der Jahrhunderte zu einem Prinzip der Schuld und des Leidens verkommen. Warum ist das Gottesprinzip kein Freudenprinzip? Warum denkt man nicht an Gott und preist ihn, wenn man sich freut, auf der Welt zu sein, wenn man sich freut, dass tolle Sachen passieren? Warum kommt er immer erst dann ins Spiel, wenn man feststellt: Na klasse, Familie weg und Krebs und wieder kein Sechser im Lotto.

Man müsste das Gottesprinzip viel stärker als frohe Botschaft etablieren, als frohen Gedanken, als Freiheitsgedanken, als Friedensgedanken. In jedem Kopf, in jeder Religion, in jedem Wesen, überall. Das war also mein Karfreitag. Jesus, ich denke an dich, danke allen Schutzengeln und allen, die mithelfen. Amen.

Aus Tagebuch einer Krebserkrankung
‚So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein’,
Christoph Schlingensief


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