Nachdenklich

Von | 29. November 2014

DIE BLINDEN SEHN, WAS KOMMEN WIRD …

Krippe-Nachdenk

Eins aber,  hoff ich,
wirst du mir,
mein Heiland,
nicht versagen:
dass ich dich möge für und für
in, bei und an mir tragen.
so lass mich doch dein Kripplein sein;
komm, komm und lege bei mir ein
dich und alle deine Freuden.
Paul Gerhardt, 1607-1676

Seid nicht so laut, die Nacht vergeht,
die Blinden sehn, was kommen wird,
die Stummen sagen uns den Sinn.
Die Obdachlosen kehren heim
die Einladung bleibt nicht geheim.
Wohl denen die arm sind vor Gott.

Den Friedensstiftern in der Welt
wird wie Verbrechern nachgestellt,
und sie erfahren Leid und Hohn.
Die Sonne der Gerechtigkeit
erhellt des Glücks Gebrechlichkeit.
Wohl denen die friedfertig sind.
Armin Juhre, 1925

Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren,
doch nicht in dir: du wärst noch ewiglich verloren.
Angelus Silesius, 1624-1677


EIN KIND GEHT SEINEN WEG

Krippe-Ohne               

Das Krippenbild im Glasfenster der Kathedrale von Le Mans ist auffällig – es fehlt das Kind. Was hat der Künstler damit ausdrücken wollen? Wohl kaum hat er es einfach vergessen, das Kind hineinzumalen.

Wir können spekulieren. Nachdenklich bleiben wir. Und vielleicht ist es das, was der Künstler bezwecken wollte: Darüber nachzudenken, was uns dieses Kind in der Krippe eigentlich bedeutet.

Auf das Kind beziehen sich viele Sehnsüchte. Mindestens die, so wie ein Kind sein zu können, so vertrauensvoll auf der einen und so angewiesen auf Liebe andererseits! So haben sich die  Weihnachtsbräuche immer schon sehr stark auf das ‚Kind‘ bezogen. ‚Kunde Kind‘ rangiert in den Tagen vor dem Fest an erster Stelle, was ja sonst in unserer Gesellschaft keinesfalls so zu beobachten ist.

So hängen Menschen die Bedeutung des Weihnachtsfestes an die Gegenwart von Kindern: ‚Ja, als die Kinder noch im Hause waren, da haben wir gefeiert! Aber jetzt, wo sie nicht mehr da sind – was sollen wir da feiern?‘

Das Kind in der Krippe geht sehr schnell seinen Weg! Es lässt sich da nicht verhaften. Aus dem Kind Jesus wird ein Provokateur der Reichen und Frommen, einer, den man möglichst schnell los werden möchte. Aus dem weihnachtlichen ‚Ehre sei Gott in der Höhe‘ wird schon bald das ‚An den Pfahl mit ihm!‘.

An diesem Menschen scheiden sich die Geister. Der ‚holde Knabe in lockigem Haar‘ wird aufwendig gefeiert; der, der ‚vom Berge‘ das Unbequeme einerseits, das wirklich Verändernde andererseits verkündet; der das Wesen Gottes lebt und dem Wort ‚Liebe‘ seine wirkliche Bedeutung gibt – dieser Mensch wird niedergebrüllt und schließlich ‚mundtot‘ gemacht.

Die leere Stelle im Krippenbild macht nachdenklich und stellt ernsthaft die Frage, welche Sehnsucht in dieser Geburtsnacht denn nun wirklich gestillt wird! Vielleicht hat das Kind die Krippe längst verlassen, unterwegs …?

Wir fassen keinen andern Gott als den,
der in jenem Menschen ist,
der vom Himmel kam.
Ich fange bei der Krippe an.
Martin Luther

 

Zugegeben …
 Ein leichtes Widerstreben spürte ich schon,
als ich das Foto vom ‚Kind in der Krippe‘ retuchierte.

Wenn Nachdenklichkeit eine veränderte Sicht gebracht hat,
ist oben das ‚unversehrte‘ Bild anzusehen …


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