Auszeit für die Kirche? 

Von | 24. Oktober 2013

Wo ist eigentlich die Kirche?

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Angesichts von Erdbeben und anderen über uns hereinbrechenden ‚Natur-Gewalten’ sprechen wir von Katastrophen.

Die Nachrichten und die sich immer mehr verdichtenden Erkenntnisse um den Missbrauch von Kindern in Einrichtungen der Kirchen durch Beauftragte im ‚Namen des Evangeliums’ tragen für mich diese Bezeichnung mit Recht. Die (enthüllte) Tendenz, dass die Institution sich immer mehr von der ‚Kirche für die Armen‘ entfernt, ist mehr als ein ‚heißer Tropfen auf den Stein‘! 

Es gibt eine Erschütterung in den Grundfesten des Lebens. Die Verunsicherung ist groß. Das Misstrauen ist groß. Der gegenwärtige Papst Franziskus berührt mit Botschaft und Verhalten eine große Sehnsucht nach Vertrauen!

In einer Zeit, wo ohnehin so vieles zur Disposition steht, wo Menschen sich ausgeliefert fühlen und ausliefern, wo die Sehnsucht nach Verlässlichkeit immer offenkundiger wird, wird diese Erschütterung messbar. Sie drückt sich in Austritten aus der Institution Kirche aus und die Ausmaße innerer ‚Austritte’ lassen sich nur ahnen.

Seit vielen Jahren bin ich mit Menschen, die von Suchterkrankung betroffen sind, auf dem Wege, um den Sinn des Lebens als Gegenpart zur Abhängigkeit zu entdecken. Ihr ‚Durst’ nach Orientierung ist ungeheuer groß und gleichzeitig haben sie den Glauben verloren, dass es für sie so etwas wie eine Befreiung geben könnte.

Meine eigene Glaubwürdigkeit stellen sie in Frage, wenn ich versuche, Wege aufzuzeigen, die in die eigene Mitte führen, dorthin, wo die ganze Kompetenz zu einem von Sinn erfüllten Leben in einem Reichtum aufbewahrt ist, der nur freigelegt werden muss.

Wenn ich dann die Bilder der Gottes-Nähe zur Hilfe nehme, die Jesus nutzte, um damals Menschen zur sie befreienden Erkenntnis zu führen, dann bricht die ganze Enttäuschung und das Misstrauen aus diesen Suchenden hervor.

Ich selbst habe in meinem Leben erfahren, wie heilsam diese Bilder für mich geworden sind und ich die Institution Kirche wie einen Garanten gesehen und verteidigt habe, dieses kostbare Gut zu schützen und zu erhalten. Spätestens in diesen Augenblicken spüre ich eine große Wut, die sich auch aus eigener Hilflosigkeit angesichts solcher schlimmen und kriminellen Verfehlungen ergibt.

Wer ist denn diese Kirche als ‚Garant’? Es ist die Gemeinschaft der Bedürftigen und nicht die Hierarchie der ‚Mächtigen‘.

Jesus hat die eigene Bedürftigkeit als einzigen Beweggrund anerkannt, anderen Menschen so etwas wie ein Wegweiser zu sein. Das ist die Kompetenz der Kirche. Und diese erwächst ausschließlich aus der Präsenz der eigenen Bedürftigkeit. Diese führt zur Demut, die die Hände offen hält und bittet: Fülle mich mit Liebe.

Diese Haltung kann keine Macht haben. Diese Haltung kann nicht für sich beanspruchen, den Weg zu wissen. Diese Haltung bewahrt vor der Unerträglichkeit, unfehlbar zu sein.

Jesus hat solche Bedürftigkeit als Richtschnur für sich angenommen. Aus ihr hat er gehandelt. Er selbst war Bedürftiger und konnte die Bedürftigen um sich sammeln. Darin lag seine Solidarität. Und aus ihr hat er Position bezogen. Zum Beispiel diese:

Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Beispiel:


 

10 Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.

11 Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort.

12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens.

13 Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig!

14 Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.

Lukas 18, 9-14


Oder diese

15 Man brachte auch kleine Kinder zu ihm, damit er ihnen die Hände auflegte. Als die Jünger das sahen, wiesen sie die Leute schroff ab.

16 Jesus aber rief die Kinder zu sich und sagte: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.

17 Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.

Lukas 18, 15-17


 

Oder diese

10 Wer in den kleinsten Dingen zuverlässig ist, der ist es auch in den großen, und wer bei den kleinsten Dingen Unrecht tut, der tut es auch bei den großen.

11 Wenn ihr im Umgang mit dem ungerechten Reichtum nicht zuverlässig gewesen seid, wer wird euch dann das wahre Gut anvertrauen?

12 Und wenn ihr im Umgang mit dem fremden Gut nicht zuverlässig gewesen seid, wer wird euch dann euer (wahres) Eigentum geben?

13 Kein Sklave kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben, oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.

14 Das alles hörten auch die Pharisäer, die sehr am Geld hingen, und sie lachten über ihn.

15 Da sagte er zu ihnen: Ihr redet den Leuten ein, dass ihr gerecht seid; aber Gott kennt euer Herz. Denn was die Menschen für großartig halten, das ist in den Augen Gottes ein Greuel.

Lukas, 16, 10-15


Immer liegen darin die Sehnsucht nach Geborgenheit und Aufgehoben-sein verborgen.

Die Menschen damals haben versucht, solche Sicht in Lebensformen zu übertragen und sie haben sich in entsprechenden Gemeinschaften gesammelt.

Indem aber eigene Bedürftigkeit in die ‚Verwaltung‘ der Bedürftigkeit anderer ‚delegiert‘ wurde, konnten sich unheilvolle Hierarchien und Machtstrukturen entwickeln. Diese Entwicklung ist Rückschritt! Denn genau diese hat Jesus als die große Gefahr gesehen. Der Evangelist Matthäus überliefert uns eine große Rede gegen das damals verfasste ‚religiöse System’.

HIER nachzulesen.

Wie kommen wir aus diesem Dilemma des Durstes eigener Bedürftigkeit einerseits und der Sattheit und Verlogenheit eines verfassten Systems andererseits heraus?

Ich sehe nur einen Weg: Rückbesinnung auf die Gemeinschaft der Bedürftigen. Diesen Ruf brauchen wir: Wir sind Kirche! Die Hierarchen brauchen Ermutigung zur Rückbesinnung.

Ich stelle mir vor: Eine Kirche, deren derzeitiges Merkmal darin besteht, in Stille und Demut Orientierung zu suchen und die Verfehlungen aus der Verschiebung eigener Bedürftigkeit in hierarchische Systeme zu bekennen und diese nicht gut zu reden.

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Das System Kirche braucht eine ‚Aus-Zeit’! Dafür stehen die Zeichen!

Die Empfehlung, ‚ob eine Zeit der geistlichen Einkehr und der räumlichen Distanz hilfreich sein könnte‘ ist für mich eine Empfehlung an die gesamte hierarchische Struktur!

Welche Auswirkungen hätte es, wenn die Kirche still würde, um für sich die Bedürftigkeit neu zu entdecken? Es gäbe keine spektakulären Verlautbarungen, weil niemand etwas zu sagen hat! Es gäbe nur diesen Ort der inneren Sammlung und aus dieser heraus solidarisches Handeln.

Dietrich Bonhoeffer schreibt in seinem Buch ‚Nachfolge‘: ‚Der Raum Jesu Christi in der Welt nach seinem Hingang wird durch seinen Leib, die Kirche eingenommen. Die Kirche ist der gegenwärtige Christus selbst. Damit gewinnen wir einen vergessenen Gedanken über Kirche zurück. Wir sind gewohnt, von der Kirche als von einer Institution zu denken. Es soll aber von der Kirche gedacht werden als von einer leibhaftigen Person, freilich einer ganz einzigartigen Person.‘

Vielleicht haben sich die Jünger damals manchmal gefragt: Wo ist eigentlich Jesus? Der war – so berichten es die Evangelisten an verschiedenen Stellen – auf einen Berg ‚entwichen’, um zu beten. Es war seine Aus-Zeit, um der eigenen Bedürftigkeit Raum zu geben.

Auf die Frage „Wo ist eigentlich die Kirche?“ gäbe es diese Antwort: „Die hat sich zurückgezogen, um zu beten!“

 

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